Zinssatz seit Höchststand halbiert

EZB senkt den Leitzins auf 2% – aber warum eigentlich?

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Erwartungsgemäß senkt die EZB den Einlagenzinssatz erneut um einen Viertelpunkt auf nun 2%. Was ist der Grund, was sind die Auswirkungen, wie geht es weiter? Ein Überblick.

Die Entwicklung des EZB-Leitzins (Einlagefazilität) von Frühjahr 2024 bis Juni 2025
Bild: claudiodiv/Freepik, Kreditkarten123.de
Die Entwicklung des EZB-Leitzins (Einlagefazilität) von Frühjahr 2024 bis Juni 2025

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat – wie zuvor erwartet – den Leitzins zum achten Mal in Folge seit seinem Höchststand gesenkt.

Der Höchststand – das war im Zeitraum zwischen Herbst 2023 und Sommer 2024. Damals hatte der Einlagenzinssatz 4% erreicht (nach zuvor jahrelanger Niedrigzinsphase). Am 12.06.2024 – also beinahe auf den Tag genau vor einem Jahr – senkte nahm die EZB erstmals eine Senkung um einen Viertelprozentpunkt vor. Seitdem folgten 7 weitere Zinssenkungen. Mit der heutigen Absenkung liegt der Zinssatz nun bei 2%. Er wurde also innerhalb eines Jahres halbiert.

Doch was genau ist eigentlich der Grund, dass der Leitzins zuletzt immer wieder gesenkt wurde – Stück für Stück, Viertelprozentpunkt für Viertelprozentpunkt? Wir geben eine leicht verständliche Erklärung und versuchen einen Ausblick.

Hintergrund: Was ist der Zweck von Leitzinsänderungen?

Die Europäische Zentralbank hat eine Reihe von Aufgaben. Die wohl wichtigste ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Das heißt: Sie ist damit beauftragt, innerhalb ihrer Möglichkeiten die Inflation in der Eurozone in einem "gesunden Bereich" zu halten – nicht zu hoch, nicht zu niedrig. Die selbst verordnete Zielmarke für eine "gesunde" Inflation liegt bei ungefähr 2%.

Das einzige Instrument, das der EZB zur Verfügung steht, um auf die Inflation einzuwirken, ist der Leitzins. Sie kann ihn frei – d.h. unabhängig von Regierungen und Politik – festlegen.

Der Leitzins (eigentlich handelt es sich um drei verschiedene Zinssätze, aber vereinfachend sprechen wir hier von einem Leitzins) bestimmt den Zinssatz, zu dem Banken sich Geld bei der EZB leihen können. Auch legt er fest, welche Zinsen Banken bei der EZB bekommen, wenn sie überschüssige Geldreserven bei ihr "parken" – quasi wie auf einem Tagesgeldkonto.

Die grundsätzliche Faustregel lautet dabei:

  • Ist die Inflationsrate zu hoch, erhöht die EZB den Leitzins.
  • Ist die Inflation zu niedrig, senkt sie ihn.

Die Überlegung dahinter ist folgende: Höhere Leitzinsen führen zu höheren Zinsen. Für Verbraucher wird es dadurch attraktiver, Geld zu sparen und anzulegen, statt es für Konsumprodukte auszugeben. Indirekt sollen höhere Leitzinsen also die Nachfrage senken – denn sinkende Nachfrage sorgt für sinkende Preise und führt dadurch (so zumindest die Theorie) zu einer geringeren Inflation.

Das Ziel der aktuellen Leitzinssenkungen

Um die aktuellen Leitzinssenkungen zu verstehen, muss man auf die globale wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre zurückblicken. Die Corona-Pandemie 2020 (und in den Folgejahren) führte weltweit zu stark ansteigenden Inflationsraten. Im Oktober 2022 lag die Inflation in der Eurozone zwischenzeitlich bei 11,5%.

Gründe für die hohe Inflation waren in erster Linie Lieferschocks, die die Corona-Pandemie ausgelöst hatte. Etablierte Lieferketten und industrielle Warenproduktion brachen von heute auf morgen zusammen – weltweit, aber auch speziell im asiatischen Bereich. Das niedrigere Angebot führte zu teils massiv höheren Preisen.

Die EZB reagierte auf die ausufernde Inflationsrate mit dem einzigen Instrument, das ihr dafür zur Verfügung steht: Dem Anheben der Leitzinsen. Ab Sommer 2022 wurde der Leitzins – nach zuvor jahrelanger Null-Zins- bzw. sogar Negativzins-Phase – innerhalb gut eines Jahres schrittweise auf 4% angehoben.

Nun ist es aber so, dass höhere Leitzinsen nicht nur Einfluss auf die Inflationsrate haben können, sondern gleichzeitig auch eine andere (Neben-)Wirkung mit sich bringen: Sie bremsen die Wirtschaft, und zwar nach folgendem Muster:

  • Höhere Zinsen verteuern Kredite.
  • Werden Kredite teurer, wird es für Unternehmen weniger attraktiv, Investitionen vorzunehmen – etwa in neue Standorte oder Produktionsmittel, oder in die Entwicklung neuer Produkte. (Hierzu muss man wissen, dass ein nicht unbedeutender Teil solcher Investitionen üblicherweise kreditfinanziert ist – zwar gibt es auch Investitionen aus Eigenmitteln, d.h. aus finanziellen Rücklagen der Unternehmen, sie halten sich jedoch mit kreditfinanzierten Investitionen ungefähr die Waage.)
  • Wenn Unternehmen bei Investitionen zurückhaltend sind, wirkt sich das wiederum tendenziell negativ auf die Gesamtwirtschaft aus – in Form von geringerem Wachstum oder gar sinkender Wirtschaftsleistung.

Höhere Leitzinsen haben somit – neben dem eigentlichen Ziel der Inflationsbekämpfung – einen bremsenden Effekt auf die Wirtschaft.

2023 zeigte sich dieses Dilemma: Während die seit 2022 graduell angehobenen Leitzinsen das Ziel hatten, der hohen Inflation entgegenzuwirken, machten sie es gleichzeitig der durch die Pandemie ohnehin schon strauchelnden Wirtschaft nicht unbedingt leichter. 2022 und 2023 lag die Wachstumsrate in der Eurozone bei 0,4% bzw. 0,9% – ein Bruchteil der Werte, die in den Jahren vor der Pandemie erreicht wurden.

Die Europäische Zentralbank reagierte, nachdem die Inflationsrate zu einem niedrigeren Niveau zurückgekehrt war: Zur Jahresmitte 2024 lag sie in der Eurozone wieder bei unter 3%.

Um die wirtschaftliche Entwicklung wieder anzukurbeln, nahm die EZB nun die Halbierung der zuvor angehobenen Leitzinsen in Angriff – nicht auf einen Schlag, sondern durch behutsames aber regelmäßiges Absenken in Viertelprozentschritten über ein Jahr.

Eine Voraussetzung für diesen Schritt war natürlich die Einschätzung der EZB, dass die Inflationsrate wieder niedrig und belastbar genug sei, um robust auf die nun geplanten Zinssenkungsschritte zu reagieren.

Ob die Inflation zuvor aufgrund des Eingreifens der EZB (Leitzinserhöhungen) oder "ganz von selbst" gesunken war, ist indes schwer nachweisbar. Äußere Faktoren dürften einen Einfluss gehabt haben: Zum einen normalisierte sich nach der Pandemie die wirtschaftliche Situation wieder, quasi auf natürliche Weise. Zum anderen spielten wohl vor allem die wieder stark sinkenden Energiepreise der EZB in die Karten – nachdem der Überfall Russlands auf die Ukraine hier zunächst einen Preisschock ausgelöst hatte. Wie so häufig mag es schlicht eine Kombination mehrerer Faktoren gewesen wein, die die Inflation wieder absenkte.

So oder so – was wir derzeit erleben, ist der wohl vorläufige Abschluss einer Zinssenkungsphase, die nicht eingeleitet wurde, um eine zu niedrige Inflation zu bekämpfen (das wäre ja, wie erläutert, der "übliche" Zweck von Zinssenkungen). Vielmehr sehen wir das Ergebnis von Leitzinssenkungen, die mit dem Ziel vorgenommen wurden, einer durch Pandemie mit Inflation und anschließende Leitzinserhöhungen gebeutelte Wirtschaft in der Eurozone wieder unter die Arme zu greifen.

Ein Ausblick – wie geht es weiter mit dem Leitzins?

Bei wirtschaftlichen und geldpolitischen Prognosen ist der weise Satz von Cheyenne aus Spiel mir das Lied vom Tod oft ein guter Ratgeber: "Niemand weiß, was die Zukunft bringt."

So sieht es wohl auch die EZB, die bei ihrer Pressekonferenz zur Leitzinsentscheidung wie üblich wieder einen Ausblick auf die Zukunft gab – diesmal allerdings ausgesprochen vorsichtig formuliert. Ob die Inflation auf ihrem vergleichbar niedrigen Niveau bleibt oder nicht, ob die EZB den Leitzins noch einmal "nachjustieren" muss: Man weiß es nicht. Zu unsicher sich äußere Faktoren wie etwa die Entwicklung des Zollkonflikts mit den Vereinigten Staaten.

Es scheint aber nicht abwegig, anzunehmen, dass zumindest in naher Zukunft erst einmal keine weiteren Leitzinsveränderungen anstehen. Die EZB scheint mit dem nun beschlossenen 2%-Niveau eine Marke erreicht zu haben, an der sie erst einmal abwartet und beobachtet.

Für Sparer heißt das: Die Zinsen auf Tages- und Festgeldkonten werden wohl so bald nicht mehr das Niveau erreichen, das sie vor einem guten Jahr noch boten. Wer einen Kredit aufnimmt, kann heute (und mutmaßlich in den kommenden Monaten, möglicherweise Jahren) mit günstigeren Konditionen planen als noch letztes Jahr. Auch Dispositionskredite und Kreditkartenzinsen sind im Kielwasser der sinkenden Leitzinsens zunehmend billiger geworden.

Sollte sich die Inflationsrate durch äußere Einflüsse in die ein oder andere Richtung bewegen, könnte die Zentralbank weitere Anpassungen wieder erforderlich finden – schließlich: niemand weiß, was die Zukunft bringt.